Mediationsdienstleistungen und EnergiedialogKlimaneutralität: Ein Satire-Beitrag von IWR-Chef Dr. Norbert Allnoch zu den zahlreichen Diskussionen und Debatten zur Erreichung der kommunalen Klimaneutralität. 


Wie ein kleines Dorf in den Bergen die Lawinenneutralität erreichen konnte

Satire-Beitrag von Dr. Norbert Allnoch

Ein im Tal gelegenes Dorf in den Bergen leidet unter immer mehr Lawinenabgängen und hohen Schäden. Im Bergdorf wird kontrovers diskutiert, etwas gegen die zunehmenden Lawinenschäden zu unternehmen. Die eine Gruppe meint, Lawinen habe es schon immer gegeben und da könne man nichts dran ändern. Die andere Gruppe will etwas unternehmen, vor allem Lawinenschutzaktivisten erhöhen den Druck, weil sie um ihre Zukunft und Lebensgrundlage fürchten.

Im Dorfrat wird beschlossen, sich aktiv für den Lawinenschutz einzusetzen. Zunächst einmal soll die Verwaltung eine Lawinen-Schadensbilanz nach dem kommunalen Bikso-Standard erstellen, um die Schäden zu erfassen und die Bilanz jährlich vorstellen. Akribisch werden die Schäden erfasst, bilanziert, dokumentiert und überlegt, wie die Art der Schadensbilanzierung verbessert und optimiert werden kann. Auch Unternehmen sollen in Zukunft eine Lawinen-Schadensbilanz erstellen.

Um noch mehr Schwung in den Lawinenschutz zu bringen, beschließt der Dorfrat eines Tages das ambitionierte Ziel, bis 2030 die Lawinenneutralität zu erreichen. Dazu soll eine Studie „Masterplan 100% Lawinenschutz“ in Auftrag gegeben werden, wie man die einzelnen Gebäude durch Sanierung besser vor Lawinen schützen und die Schäden begrenzen kann. Zudem soll ein mit Experten besetzter Lawinenbeirat Vorschläge zum Lawinenschutz unterbreiten. Alle sind begeistert.

Das Ergebnis des Gutachtens zum Schutz der Gebäude vor Lawinen ist allerdings ernüchternd, denn angesichts der notwendigen hohen jährlichen Sanierungsquote von bis zu 2 Prozent ist die Sorge der Politik groß, dass es die Zahl der benötigten Handwerker nicht gibt, die das umsetzen könnten. Außerdem ist die Umsetzung mit gewaltigen Kosten verbunden.

Vorschläge aus dem Lawinenbeirat nach einer Zukunftsbilanz mit Aktivitäten und Maßnahmen sowie einem konkreten Umsetzungsplan direkt oben am Berg, d.h. an der eigentlichen Quelle und wo die Lawinen entstehen, werden mit Blick auf technische Eingriffe in die Natur abgelehnt. Allenfalls die Pflanzung einzelner Lawinen-Schutzbäume an ausgewählten Standorten sei akzeptabel. Die Naturlandschaft solle schließlich so wie sie ist erhalten bleiben. Aber man könne ja mehr an die Menschen appellieren damit diese ihr Verhalten ändern und die Wege meiden, an denen Lawinen entstehen können. Warnschilder sollten aber aus Dorf-Imagegründen auf keinen Fall aufgestellt werden, stattdessen werden regelmäßig freiwillige Informationsveranstaltungen im Dorf angeboten.

Nach einigen Jahren wird dem Dorfrat zunehmend bewusst, dass es nicht mehr lange hin ist bis 2030 und die Lawinenbilanz weiterhin viel zu hohe Schadenswerte aufzeigt. Ein weiteres Gutachten, dieses Mal ein „Integriertes Flächenkonzept“, soll mehr Klarheit bringen. Das Flächen-Gutachten kommt u.a. auf ein Potenzial von 1.000 Lawinen-Schutzbäumen im Außenbereich. Bedacht wurde allerdings nicht, dass nur max. 200 in der eigentlichen Lawinen-Gefährdungszone platziert und nur 20 Bäume pro Jahr gepflanzt werden können. Das aber reicht nicht, um das Ziel – schon bis 2030 Lawinenneutralität - zu erreichen.

Guter Rat ist jetzt teuer, im Dorfrat wird hitzig debattiert, doch dann hat der Chef der Bergwachtgesellschaft eine glänzende Idee. Das Zauberwort heißt: Lawinen-Schutzzertifikate. Diese könne man ja erwerben, es müssten aber hochwertige ökobasierte Zertifikate sein. Mit dem Erwerb von Zertifikaten könne man die hiesigen Lawinenschäden kompensieren, weil mit dem Geld in anderen Bergregionen auf ökologischer Basis technisch-bauliche Schutzmaßnahmen und Wiederaufforstungen zum Lawinenschutz realisiert werden. Schließlich könne es ja egal sein, wo der Lawinenschutz umgesetzt wird, da es sich bekanntlich um ein globales Problem handelt.

Alle sind jetzt im Dorfrat hochbegeistert, erleichtert und zufrieden, ein sehr fortschrittliches Dorf zu sein und Lawinenneutralität schon vor 2030 und vor allem vor allen anderen Dörfern zu erreichen. Schöner Begleiteffekt: man kann einfach genauso weitermachen wie bisher. Alles ist gut.

Münster, 19.11.2023

 

Links

1. Konzept einer kommunalen Dekarbonisierungsbilanz